Mittwoch, 10. Februar 2016

Flüchtende: Newton und ... Wahrheit

Ein Apfel löst sich vom Baum. Für den einen der Newton-Fall, für die andere der Zyklus des Lebens. Der eine nutzt kühn das angebotene Mahl, die andere - wo rollt er hin? - sieht neuen Ärger mit dem Nachbarn dräuen.


Eine Million Flüchtende kamen ins Land. Für den einen Bereicherung, für die andere eine gefährliche Bedrohung dessen, das sie pathetisch Abendland nennt. Der eine denkt an Krieg, an Not, an Solidarität und Verantwortung. Die andere assoziiert Attacke, Überfremdung, ruft zur entschlossenen Abwehr auf.

Der Apfel ist gefallen. Die Menschen sind gekommen. Beides eindeutig das, was heute so gerne ein Faktum oder Fakten genannt wird. Doch unmittelbar mit und nach dieser Einordnung endet das, das heute mit gleicher kesser Verve hier als Wahrheit, dort als Lüge bezeichnet wird. Es müsse - den Menschen! - die Wahrheit gesagt werden, man müsse sich ehrlich machen, ist auf den trendigen Plattformen des politischen Diskurses allenthalben zu vernehmen. Der Blick auf die Realität, eingefordert bei Anne Will. Die Verteidigung der Vernunft bei Maybrit Illner. Zurechtgerückt und auf die Füße gestellt regelmäßig von Talk-Faktotum Wolfgang Bosbach.

Kühler Kopf?

Der kühle Kopf, den es zu bewahren gilt, er ist offenkundig nicht mehr und nicht weniger als der Kopf dessen, der diesen Ratschlag erteilt. Wahrheit, Lüge, Vernunft, Realität und dergleichen mehr Konstrukte desjenigen, der diese Begriffe ins diskursive Feld führt. Befreit von persönlichen und sozialen Hintergründen, befreit von Eigen- und Gruppeninteressen wird aus Kritik und Bewertung ... ein Fakt. Ein Talk, ein Apfel, eine Million, ein Text, ein Bild, ein Dies, ein Jenes.

Ist es ein Beitrag nur des Parlierenden, ein Versuch? Ist es eine Stellungnahme, eine Positionierung im Spiel der Kräfte? Ist es statt Wahrheit nur Anteil, statt Lüge Teilnahme am unruhigen Geschehen?
Die Wahrheit ist ein fragiles Konzept, die Realität kaum zu fassen. Noch während des Vortrags nur eines Arguments ändern sich beide in der Wahrnehmung des Gegenübers. Es wird eingeordnet, bewertet, gewichtet - und wieder ist der Fluss ein anderer, der Sprung in denselben nicht mehr möglich.

Prioritäten

Wer überwiegend und engagiert mit Äpfeln sich beschäftigt oder viel seiner Zeit Flüchtenden
widmet, hat für Wahrheit oder Lüge, hat für die eine oder andere Meta-Diskussion nur überschaubares Interesse.
Weil es aktuell erst einmal darum geht, Äpfel für Flüchtende vorzuhalten.

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